Freiheit und die Art, wie wir lernen
Freiheit ist ein Gut, das den meisten von uns sehr viel bedeutet. Zu diesem Thema ist mir obiges Zitat von Astrid Lindgren begegnet. Die Grand Dame der Kinder- und Jugendliteratur erinnert an unsere eigene Kindheit mit Büchern und Filmen über Pippi Langstrumpf oder Michel aus Lönneberga: wilde Mädchen und Jungs, die die Freiheit lieben und sich trauen, mutig sind und Risiken eingehen. Und unbekanntes Terrain betreten. Auch wenn Konsequenzen in Sicht sind. Die Protagonisten strahlen Lebensfreude, Glück und Lernwille aus – und nichts Boshaftes, sondern eher eine liebevolle Frechheit.
Im Herzen Pippi, Michel oder Madita?
...oder auch Anika, die sich zwar im ersten Schritt nicht traute, dann aber doch mit dabei war.
Nehmen wir das Beispiel einer Hütte, die im Wald gebaut wird (ein Konzept, was ja auch gerne in Teamtrainings eingesetzt wird – außerdem findet man aktuell in den Wäldern viele von Kindern gebaute Unterstände). Als Kinder schleppten wir verschiedene Äste und Holzarten an, Baumaterialien wie Moos, Steine, Schotter oder Erde, stapelten alles übereinander, banden es zusammen, rissen es wieder auseinander und versuchten es neu. Solange – je nach Begeisterung für das Thema und die persönliche Ausdauer natürlich – bis entweder alles zusammenfiel und man sich etwas anderem widmete oder solange, bis die Hütte, wenigstens für die Dauer eines Festmahls, der Witterung standhielt. Die Hütte im Wald ist nur ein Beispiel, das uns zeigen kann, wie Neugier, Wissbegierde, Kreativität und Lernen mit dem persönlichen Möglichkeitsraum und den gegebenen Freiheiten zusammenhängt.
Lernen durch Ausprobieren
In der Kindheit gelang uns dieses ausprobierende Lernen umso besser, je größer unsere Freiheit war, selbst auszuprobieren und fest zu stellen, was ging und was nicht. Und es ermöglichte uns herauszufinden, welches unser Weg war. Wir hatten nicht schon von vorneherein ein richtig oder falsch im Kopf. Denn wenn die Hütte hielt war alles gut, egal ob aus Stein oder Lehm. Und wir waren glücklich, es selbst geschafft zu haben und kreativ unsere eigenen Ideen eingebracht zu haben. Diese in der Psychologie bezeichnete Selbstwirksamkeit ist ein wichtiger Baustein, um zu spüren, was man aus eigener Kraft bewerkstelligen kann und welche Kräfte in einem schlummern. Diese Kräfte beflügeln uns und machen Mut, auch mal die eigene Komfortzone zu überschreiten und unbekanntes Terrain zu betreten.
Richtig und Falsch in Frage stellen
Leider haben wir es während der Adoleszenz und beim Erwachsenwerden etwas verlernt, erst auszuprobieren und uns nicht von Richtig und Falsch lenken zu lassen. Wir haben Pipi, Michel und Madita etwas aus den Augen verloren und uns an vorgegebenen Maßstäben zu orientieren gelernt. Ja, die Orientierung ist hilfreich, aber wäre es nicht gerade auch jetzt eine Chance, wieder individuell zu reflektieren, wann die Einordnung passt, und an welchen Stellen es gut ist, eigenes Neues auszuprobieren. Unbekanntes Terrain auszuloten, denn vielleicht gibt es gerade jetzt kein Richtig oder Falsch – und das macht auch frei. Zu überlegen, wie Arbeit gelingen kann unter neuen Gegebenheiten, auszuprobieren, Neues zu testen, individuelle Lösungen zu finden – anstatt sich danach zu richten, was „die anderen“ für gut befinden?
Denn nur weil alle es machen, muss es ja nicht
richtig oder besser sein. Ich meine jetzt nicht Masken tragen oder ähnliches, was zum Gemeinwohl beiträgt. Mir geht es eher darum, den eigenen Ideen und Impulsen Raum zu geben und Neues auszuprobieren. Mal wieder Pippi und Michel sein und sich trauen, die Dinge auf die eigene Weise auszuprobieren. Dieses ausprobierende Lernen lässt uns auch andere Herausforderungen in der Zukunft bewältigen. Es macht uns flexibel und lässt uns Dinge auf eine neue Weise betrachten. Und ermöglicht uns, auch mal wieder „richtig“ und „falsch“ in Frage zu stellen – eine, wie ich finde, erstrebenswerte Kompetenz, an der wir wachsen können.
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